Leben und Lassen
Wo genau das sei, wo ich hin wolle fragt er mich unsicher. Ich beschreibe dem Taxifahrer das Ziel der kurzen gemeinsamen Reise. Er entschuldigt sich, erst seit drei Wochen mache er diesen Job. „Und davor“, frage ich neugierig. „Ich war Steinesetzer“, entgegnet er. „Sie haben also Grabsteine gesetzt?“, mutmaße ich. „Nein, da so (er zeigt auf einen vorbeifliegenden Bürgersteig), da habe ich Steine gesetzt.“ Neugierig will ich wissen: „Und warum tun sie das nicht mehr?“ „Mein Sohn, ich kann dann nicht zu ihm nach Hause, wenn er mich braucht.“ Ich verstehe nicht und will mehr wissen. „Warum müssen sie tagsüber zu ihrem Sohn?“, frage ich, meine offensive Neugier entschuldigend. „Er ist zwölf, er hat irgendeine Stoffwechselerkrankung, er kann nicht sprechen, nicht laufen, meine Frau schafft das nicht allein. Ich muss ihr helfen.“ Von seiner so innigst väterlichen Reaktion beeindruckt frage ich ihn nach der Diagnose. Sein „ich weiß es nicht, die Ärzte sagen nichts, sie wissen es vielleicht nicht“, drückt mich tief in den Sitz und meinen Magen in den Wutmodus. Zwölf Jahre schon leidet sein Sohn, zwölf Jahre schon hält man ihn und seine Familie hin, zwölf Jahre schon zwingt man ihn und seine Lieben mit einer vorgeblichen Ungewissheit zu leben? Warum? Weil er Türke ist, nicht fließend die Amtssprache spricht, man ihm Dinge deshalb nicht erklärt, einen erhöhten Diagnose- und/oder Pflegekostenaufwand vermeiden will? Das sind meine Mutmaßungen – sicher. Aber das ist auch meine Wut. Berührt und tatenwillig gebe ich ihm meine Visitenkarte, erkläre ihm, dass ich nichts versprechen kann, aber mein Möglichstes tun werde - klein in meinem Sein, sehr willig im Kampf gegen Ungerechtigkeit. Er bedankt sich, will mir schreiben und würde sich freuen, wenn ich für seinen Sohn etwas erreichen könnte. Ich werde es versuchen - das habe ich ihm fest versprochen.
... der Erkundung ergeben. Theorie schlägt Praxis. Was notwendig ist, fehlt im realen Leben, was gebraucht wird und erlaubt ist, widerspricht Recht und Gesetz. Erforschen von Grauzonen, einem humanen Sterben geschuldet, dem realen Leben fremd.
Acht Uhr – der Morgen eines Freitags. Ich will nicht mehr erklären, diskutieren. Am Info-Schalter tut Frau Zeppelin ihren Dienst nach Vorschrift und fragt mich nach meinem Begehr. Ich gebe ihr zur Kenntnis, dass ich die Chefin von Team yyy sprechen möchte und nicht bereit bin, länger als 15 Minuten zu warten. Frau Zeppelin ist frappiert ob meiner fordernden Ansage und fragt nach meinem Begehr. „Das werde ich der Chefin von Team yyy kund tun“, teile ich ihr mit, lasse sie mit einem verdutzten Gesicht sitzen und begebe mich in den Warteraum. Oha, zehn Minuten später werde ich abgeholt von einer Frau mittleren Alters, die sich mir als Chefin von Team yyy vorstellt.
Ihr Büro ist schlicht, der Schreibtisch aufgeräumt, sie wirkt entgegen kommend, wissend. Jetzt bin ich frappiert. Frustriert schildere ich kurz meine Geschichte, frage, warum ich hier überhaupt noch mal antanzen muss, schließlich hätte doch Klein-Napoleon vor ein paar Tagen meine Steuernummer in den Computer der Anstalt gehackt und Frau Schmidt, die Mitarbeiterin des Jahres, meinen Antrag als vollständig gestempelt.
Die Chefin guckt leicht bedrippelt.
Ich frage weiter, warum der unleserlich signierende Mitarbeiter ihres Teams, sinnloserweise Komplettpakete verschickt, anstatt meinen Datensatz aufzurufen, die Steuernummer in den entsprechenden Vorgang zu extrahieren und somit allen weiter notwendigen Prozessen zuzuführen.
Die Chefin blickt mich gequält an und ihr entfährt ein unglaubliches: „Mich kotzt das auch an, glauben Sie mir. Aber ich kann hier nur den einen Vorgang sehen. Was Sie ansonsten noch hier an Prozessen zu laufen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Das war früher anders und es war besser. Aber aus Datenschutzgründen kann kein Mitarbeiter alle gegenwärtigen Vorgänge eines Kunden am Computer einsehen.“ In mir keimen Wut und Mitleid. Die Agentur stellt sich selbst ein Bein, wieder und wieder, auf Kosten der Steuerzahler und zum Nachteil Betroffener – aus Datenschutzgründen. Mir bleibt das Lachen im Halse stecken.
Die Chefin verlässt das Büro, um das Schreiben vom Finanzamt mit meiner Steuernummer zu kopieren. Während ihrer Abwesenheit checke ich den Screen mit meinen Daten und finde ihre Aussage bestätigt.
Als sie zurück kommt, entschuldigt sie sich für das Verhalten ihrer alles-vollständig-stempelnden-Mitarbeiterin-des-Jahres und sichert mir einen Rüffel für Frau Schmidt und eine zügige Bearbeitung meines nun wirklich vollständigen Antrages zu.
Ich bin geneigt ihr zu glauben. Warum hat diese Anstalt nicht mehr Mitarbeiter ihrer Kompetenz und Qualität?
Einige Tage später fische ich die Bewilligung meines Antrages aus dem Briefkasten. Ich bin befriedigt – Zufriedenheit will sich allerdings nicht einstellen, weiß ich doch um die zig Kunden der Agentur, denen mein ‚Schicksal’ noch bevorsteht.
Die Bauanleitung für Molotow-Cocktails wandert in den Papierkorb. Gewaltakte, auch von vom Anzugreifenden gezüchteten Terroristen, zielen unter anderem auf die Destabilisierung des Angegriffenen. Die Arbeitsagentur ist nach meinen Erfahrungen ein loser Haufen meist (un)freiwillig ungeschulter Angestellter deren Motivations- und Wissenshorizont von der Wand bis zur Tapete zu reichen scheint. Dass in der Arbeitsagentur nichts, aber auch gar nichts mehr zu zerstören ist, haben mir die letzten Wochen bewiesen.
Abschaffung des Rotationsprinzips, engmaschige Schulung und Kontrolle der Mitarbeiter, Supervision (um Nervensägen wie mich zu ertragen) und zu aller erst eine grundsätzliche Umstrukturierung der Arbeitsweise der Agentur – meine Wünsche für Mitarbeiter und Kunden. Sie werden ungehört verhallen.
‚Ich habe fertig’ - und werde alles daran setzen, nie wieder im Leben meinen Fuß unter den Bremsklotz der Nation setzen zu müssen.
Ein Bruch. Die Füße fürderhin auf Pfaden, die vor Jahren so ausgetreten waren, dass Spuren und Trittiefe mir fast die Beine zerschlagen hätten. Dieses Mal nun sollen die Wege durch offeneres Land führen. Und erst auf der Reise werde ich Ziele finden. Abenteuer pur, ohne Netz und doppelten Boden, ohne Reißleine - ich bin bereit.
Am nächsten Tag schon trifft die Bestätigung für den Abschluss der freiwilligen Arbeitslosengeldversicherung ein – gezeichnet von Klein-Napoleon. Er hat sich im Arbeitstempo selbst überholt und wollte wohl mit einer unverhältnismäßig schnellen Segnung des Vertrages sicher stellen, dass er mich nie wieder sieht.
Das ist ihm gelungen. Wenigstens dieser Punkt ist für mich nun erledigt.
Eine Woche später schreibt mir die Arbeitsagentur, dass ich, da ich eine Urlaubsabgeltung erhalte, in dieser Zeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Hallo Amt, geht’s noch? Ich will gar kein Arbeitslosengeld. Ich habe die Änderungsmitteilung gleich mit dem Antrag zur Arbeitslosmeldung abgegeben und darin steht, dass und ab wann ich mich selbständig mache. Ich sage nur: Schreibtische aufräumen! Unter den Krümeln diverser Frühstücksbrote liegt meine Mitteilung. Wetten?
Das Amt bemängelt auch, keine weiteren Ausführungen meinerseits vorliegen zu haben, die die Gründe für eine Eigenkündigung darlegen. Das ausgefüllte Formular dazu, inklusive weiterer Erläuterungen im Anhang, lag der fachkundigen Frau Schmidt vor, die mir kund tat, das brauche sie nicht, da ich mich ja selbständig mache.
Und natürlich ist für eine unkomplizierte Klärung kein Weg offen, da als Rückrufnummer wieder nur die Hotline angegeben ist und eine Email-Adresse, die auf Team yyy lautet.
Ich stelle mir einen Praktikanten am Computer vor, der dem Chaos im Posteingangsordner des Teams yyy Herr zu werden versucht und mal eben, aus Scham etwas falsch zu machen, Unzuordenbares löscht. Merkt ja niemand.
Trotzdem schreibe ich eine Email, erkläre den Sachverhalt und hänge die Erläuterungen an. Priorität hoch und mit angeforderter Lesebestätigung. Meine Zeilen verrauchen im Datennirvana der Anstalt.
Wieder einen Tag später fällt mir aus dem Briefkasten ein großer, dicker Umschlag entgegen. Absender Arbeitsagentur.
Ich überlege, vor dem Öffnen prophylaktisch den Notarzt zu rufen.
Der Umschlag enthält meinen kompletten Antrag auf Gründungszuschuss mit dem lapidaren Schreiben: ‚Sehr geehrte Frau zzz, anbei erhalten Sie o. g. Antrag zurück. Bitte legen sie dem Antrag eine entsprechende Anmeldung beim Finanzamt bei. Mit freundlichen Grüßen. Im Auftrag’ – Stempel der Anstalt, unleserliche Unterschrift, kein Name im Briefkopf, Telefon: Hotline.
Mir rattert die Liste waffenfähigen Materials in meinem Haushalt durch den Kopf.
Dann analysiere ich, was ich da gerade sehe. Der Antrag ist komplett zurück, geschickt worden, ergo nicht angenommen? Man hätte mir ja einfach mitteilen können, was ich nachreichen soll. Heißt nicht angenommen, die Zeit läuft gegen mich und das Amt versucht, mich dazu zu bringen, die Frist zu verschlampen und so Geld zu sparen? Geld, das mir aus einem Rechtsanspruch zusteht!?
Und um den Irrsinn komplett zu machen: ich habe die Kopie des Antrages vor mir liegen, auf der unter dem Stempel der Agentur steht ‚Antrag vollständig’. Geschrieben und unterzeichnet von der Mitarbeiterin des Jahres 2008 – Frau Schmidt.
‚Kunden’ der Agentur werden unter einer Stammnummer geführt, die sich, wie ich inzwischen weiß, nur in bestimmten Buchstabenzusätzen je nach zu bearbeitender Sache unterscheidet. Hatte ich nicht gerade meinen Antrag auf freiwillige Arbeitslosengeldversicherung abgegeben und hatte Klein-Napoleon nicht das Schreiben des Finanzamtes mit der Steuernummer für meine selbständige Tätigkeit kopiert?
Werden in dieser Behörde die Kopien nach Recyclinggrad des Papiers sortiert? Archiviert das Amt die Daten seiner Kunden nach den Menstruationskalendern der weiblichen Angestellten oder den Autowaschzyklen der männlichen Mitarbeiter? Und ja, ich lege an dieser Stelle gern fünf Euronen in die Chauvi-Kasse!
Auge um Auge, Zahn um Zahn – und meine werden es nicht sein!
Mir steht also ein erneuter Großkampftag in der Behörde bevor. Nix Hotline, nix Email, nix Post. Persönlich werde ich den Angestellten, nun bevorzugterweise einem Vorgesetzten, notwendige Synapsenschlüsse erklären (müssen).
Und apropos Post. Der große Umschlag war mit 1,45 Euro frankiert. Hallo Mitarbeiter der Agentur: das geht billiger! Eine Mail hätte es auch getan und was euch fehlt (an Unterlagen meine ich - für den Rest bin ich nicht verantwortlich), hätte ich gern auf selbigem Wege zur Verfügung gestellt. Das Geld, das ihr fürs Porto ausgebt, ist auch das Geld aus den Steuern eurer Kunden, die sie gezahlt haben, bevor ihr wohl viele von ihnen gezwungen habt, ein ihnen unangenehmes Verhältnis mit euch länger als notwendig aufrecht zu erhalten, nur weil euch ohne sie langweilig wäre, oder viel schlimmer, ihr selbst zu ‚Kunden’ werden könntet. Schon allein die Vorstellung dessen muss für euch der blanke Horror sein, seht ihr doch täglich, wie viele Arbeitswillige an eurem Chaos scheitern.
Ich bin willens, dem Goliath direkt vor einer tiefen Drecklache ein Bein zu stellen, gleich morgen.
- Fortsetzung folgt -
Tag des Sit-ins. 8.15 Uhr.
Ich trete an den Infoschalter und teile der Dame mit, dass ich die Unterlagen für die Arbeitslosmeldung, den Antrag auf Gründungszuschuss und den Antrag auf freiwillige Arbeitslosengeldversicherung abgeben möchte und ein Mitarbeiter die Unterlagen auf Vollständigkeit prüfen und mir den Eingang schriftlich bestätigen sollte.
Die Schalterfrau: „Da müssen sie einen Termin machen.“ Ich: „Das habe ich mehrfach erfolglos telefonisch versucht. Ich habe alles dabei und möchte es jetzt abgeben.“ Sie: „Sie müssen einen Termin machen.“ Ich: „Ich mag nicht umsonst hier gewesen sein. Wie lösen wir das jetzt Frau Müller?“ (Ich hatte schnell auf den Namensaufsteller hinter ihrem Tresen gelinst – die persönliche Ansprache hilft immer!) Frau Müller sieht sich sichtlich schlechten Gewissens im Zugzwang und verweist mich in den Warteraum. Teilsieg denke ich.
Eine kleine Frau mittleren Alters holt mich 25 Minuten später ab. Schnell das Namensschild lesen – Frau Schmidt also.
Frau Schmidt fragt nach meinem Begehr. Ich zähle alles auf. Sie: „Sie hätten einen Termin machen müssen.“ Ich platze gleich, sage aber ruhig: „Frau Schmidt, das habe ich versucht und mir wurde von der Hotline gesagt, es gäbe erst übernächsten Monat Termine.“ Frau Schmidt hackt panisch auf ihrer Tastatur herum und zeigt mir dann stolz auf ihrem Bildschirm, dass sehr wohl Termine frei sind. Ich: „Klasse, dann hätte man mir doch einen geben können.“ Frau Schmidt: „Ich verstehe das nicht.“ Ich: „Ist ja jetzt egal. Ich bin hier, lassen sie uns die Unterlagen durchgehen.“ Das tun wir. Es ist alles vollständig. Frau Schmidt sieht zufällig die Einladung zum Gespräch und meint: „Sie hatten doch einen Termin.“ Ich: „Ja, aber der wäre zu spät und schauen sie mal hier, unter der Telefonnummer ertönt ein ‚kein Anschluß unter dieser Nummer’.“ Sie: „Diese Nummer gibt es schon lange nicht mehr.“ Ich: „Und warum steht die dann auf dem Briefkopf?“ Frau Schmidt: „Das verstehe ich auch nicht.“ Ist ja nun auch Wurst. Frau Schmidt fragt nun leicht überfordert: „Was brauchen wir jetzt noch?“ Wer jetzt genau – sie oder ich? Ich glaub’ ich spinne. Woher soll ich das wissen? Ich: „Frau Schmidt, sagen sie mir, was noch notwendig ist.“ Sie: „Ich weiß nicht.“ Großartig! Krieg’ ich jetzt hier als Coach bezahlt oder was? Ich: „Geben sie mir eine schriftliche Bestätigung, dass sie alles erhalten haben.“ Frau Schmidt: „Wie soll ich das machen?“ Sie regrediert nicht – ich verbuche das als ihren Ist-Zustand. Ich: „Geben sie mir bitte einfach eine Kopie der Anträge mit Stempel und Unterschrift.“ Das tut sie ohne zu murren.
Ich frage Frau Schmidt wie es nun für mich weiter geht. Sie: „Man wird sie anschreiben.“ Ich: „Kann ich hier einen direkten Ansprechpartner kontaktieren?“ Sie: „Nein, das geht nicht.“ Ich: „Dann geben sie mir bitte wenigstens eine Email-Adresse.“ Frau Schmidt fängt an, sichtlich verwirrt, in ihrem internen Posteingang zu suchen. Ich komme mir wie die unfreiwillige Zeugin eines Blindversuches im Computeranfängerkurs vor. Frau Schmidt kritzelt etwas auf einen Zettel, das nicht mal im Entferntesten einer Email-Adresse nahe kommt. Ein @ fehlt völlig und ist auch nicht umschrieben. Ich fühle mich versucht, im Schnelldurchlauf eine Minischulung abzuhalten und – halte die Klappe. Statt dessen sage ich: „Frau Schmidt, lassen sie es gut sein. Ich komme einfach wieder zu ihnen.“ Frau Schmidt freut sich nicht über den angekündigten Besuch. Ich verabschiede mich und lasse sie mit ihren eklatanten Wissenslücken einfach allein. So bin ich (geworden – hier!).
Nun schnell noch den Antrag auf freiwillige Arbeitslosengeldversicherung abgeben denke ich. Zwei Etagen höher werde ich gleich auf dem Flur in Empfang genommen.
Das Rotationsprinzip der Mitarbeiter der Anstalt zwecks Vermeidung jeglicher Kundenbindung scheint in Lichtgeschwindigkeit zu funktionieren. Die nette, wissende Dame, die mir vor zwei Wochen die Formulare aushändigte, scheint von der Fliehkraft weggetragen worden zu sein.
Mir gegenüber posiert statt dessen ein Jüngling, der dem Aussehen nach alle Listen im Sport verbotener Substanzen gründlich abgearbeitet hat – offensichtlich mit bekannten Folgen. Er nimmt meinen Antrag entgegen, zieht eine Mappe vom Schreibtisch und vergleicht das ausgefüllte Formular Punkt für Punkt mit einem Muster. Ich mag nicht glauben was ich sehe!
Dann sagt er: „Ich brauche ihre Gewerbeanmeldung!“ Ich: „Schauen Sie bitte mal auf meine künftige Tätigkeitsbezeichnung im Antrag. ICH brauche KEINE Gewerbeanmeldung.“ Er: „Dann brauche ich ihren Antrag auf eine Steuernummer.“ Ich: „Was meinen sie? Ich habe eine Steuernummer für meine selbständige Tätigkeit beantragt, den Antrag kopielos abgegeben und eine Steuernummer erhalten. Die gebe ich ihnen gern.“ Er: „Ich brauche ihren Antrag.“ Ich: „Was meinen sie?“ Er: „Na sie müssen doch irgendwann mal eine Steuernummer beantragt haben.“ Ich denke ‚Herr lass Hirn regnen’ und es entfleucht mir unkontrolliert: „Wissen sie, ich habe schon steuerpflichtig gearbeitet, als sie noch mit der Trommel um den Baum gerannt sind! Woher soll ich bitte heute noch wissen, wo meine erste Steuernummer herkam?“ Er: „Ich brauche den Antrag!“ Ich krame in meinen mitgeführten Unterlagen (die vorsichtshalber vom ersten Schrei bis zum letzten Dünnschiss alles enthalten was amtlich protokolliert werden kann): „Hier ist der Bescheid vom Finanzamt über die Erteilung der Steuernummer, wenn sie sich den bitte kopieren würden. Mehr habe ich nicht. Und Nachfragen dazu beantworte ich, wenn sie von kompetenter Stelle gestellt werden.“
Mir ist danach, ihm eine rein zu hauen. Aber ich erinnere mich an das Wort ‚Manieren’ und daran, dass man keine Schwächeren schlägt auch wenn sie alles tun, um wenigstens optisch diesen Eindruck nicht zu erwecken.
Der Jüngling, sichtlich sauer, erhebt sich zu voller Napoleongröße und begleitet mich ins Erdgeschoss zum Kopierer. Während er kopiert, höre ich zwangsläufig das Gespräch einer Kundin am Infoschalter mit. Sie hat während eines laufenden Verhältnisses mit der Arbeitsagentur geheiratet, den Namen ihres Mannes angenommen, dies pflichtgemäß kund getan und existiert jetzt, wie sich heraus stellt, als zweifache Karteileiche im Computer der Anstalt. Mir schwant: ich hätte es schlimmer treffen können.
Das Muskelpaket stempelt und unterschreibt widerwillig die Kopie meines Antrages und zischt mir von unten ein „Sie sollten sich ihr Auftreten hier mal durch den Kopf gehen lassen“ entgegen. Ich kann und will nicht mehr – und nett sein schon gar nicht. Deshalb zische ich zurück: „Und sie sollten mal über Kompetenz nachdenken. Die Vorgängerin an ihrem Schreibtisch hatte davon sehr viel.“
Mit einem geheuchelten „Auf Wiedersehen“ verlasse ich das Gebäude.
Es ist 10:15 Uhr.
DIE haben jetzt alles was sie brauchen, um mir meinen Rechtsanspruch fristgemäß zu gewähren.
Ich warte.
- Fortsetzung folgt –
Am nächsten Tag rufe ich die auf dem Einladungsschreiben in Briefkopf und Fußzeile gedruckte Nummer an. Eine direkte Nummer, Festnetz, ein zuständiger Mensch am Telefon – ein Lichtblick? Denkste. ‚Kein Anschluß unter dieser Nummer’ blaht es mir ins Ohr. Verwählt, denke ich. Die nächsten Versuche enden mit dem gleichen Ergebnis.
Mein Puls rast, mein Blutdruck steigt und mir erklärt sich schlag(anfall)artig, warum viele Arbeitslose dem Markt krankheitsbedingt nicht mehr zur Verfügung stehen.
Also wieder die Hotline. Vom Handy, denn das klappt ja schnell. Einer namenlosen Frau am anderen Ende der Leitung schildere ich frustriert das Telefonproblem.
Sie: „Zu den Sprechzeiten der Agentur sind die Telefone nicht im System und deshalb kriegen sie diese Ansage.“ Ich: „Kann man das nicht anders lösen?“ Sie: „Da kann ich nichts machen.“
Bezüglich des Termins könne sie mir auch nicht weiter helfen. Ich solle doch einfach meine Unterlagen am Infostand abgeben.
Ich lege auf und denke über die Bauanleitung für Molotow-Cocktails nach.
Mir fällt ein, dass ich nicht weiß, wieviel ein Gespräch vom Handtelefon zu einer 01801-Nummer kostet. Schließlich will ich ja wegen der Unfähigkeit der Arbeitsagentur nicht verarmen. Mein Mobilfunk-Provider kann mir dazu keine Auskunft geben und schätzt Pi mal Daumen gegen Ostwind 46 Cent pro Minute.
Ich verschiebe die Ohnmacht auf später.
Eine Internetrecherche offenbart, dass es 50 Cent pro Minute sind.
Ich erleide einen kurzen Black-Out. Nein, die machen mich nicht irre, die nicht! Weiter also. Ich finde eine Website, die darüber informiert, dass fast alle 0180er Nummern in ein reguläres Festnetz-Telefonsystem gespeist werden und dass diesen 0180er Nummern demzufolge auch eine Festnetznummer zuzuordnen ist (www.tk-anbieter.de/0180). Eine Liste erscheint und tatsächlich steht dort die normale Festnetznummer der Arbeitsagentur.
Bewusste Abzocke Mittelloser denke ich und memoriere die Anzahl leerer Weinflaschen und den Standort des Benzinkanisters in heimatlichen Gefilden.
Ich will jetzt endlich einen Termin und rufe vom Handy aus die Festnetznummer an. Es funktioniert. Die freundliche Stimme einer jungen Frau, die mir sogar ihren Namen verrät, empfängt mich. Ich erzähle von meinen Terminschlamassel und der Auskunft, die mir die Dame beim letzten Hotline-Anruf gab, die Unterlagen doch einfach am Infostand abzugeben.
Sie: „Sind die doof! Sie müssen zum Arbeitsberater. Ich kann Ihnen keinen Termin geben. Der Termin, den sie bekommen haben bezieht sich auf den letztmöglichen Tag der Abgabe ihrer Unterlagen. Ich verstehe, dass es für sie natürlich wichtig ist, die Unterlagen weit vorher einzureichen, zumal sie ja alles beisammen haben.“ Ich: „Von Arbeitsberater stand da nichts. Das ist ein Standardbrief.“ Sie: „Lesen sie mal vor.“ Ich lese vor. Sie: „Sind die doof (Davon scheint sie zu Recht sehr überzeugt zu sein. Anm. d. Verf.). Gehen sie einfach rechtzeitig hin und bestehen sie darauf, vorgelassen zu werden.“ Ich: „Werde ich tun. Und sagen sie, wie kann das sein, dass ich ein ‚kein Anschluß unter dieser Nummer’ höre, wenn ich die auf dem Briefkopf angegebene direkte Nummer wähle?“ Sie: „Was? Das kann nicht sein.“ Ich: „Doch, das ist so. Könnte man nicht wenigstens ein Band schalten, das die telefonischen Sprechzeiten in den Äther speit?“ Sie: „Sollte man. Ich glaube das alles nicht. Was machen die nur! Sind die doof! (Zum dritten Mal. Anm. d. Verf. ) Ich leite das weiter, auch, dass sie dringend einen früheren Termin brauchen. Das schreibe ich denen in den Computer.“ Ich: „Vielleicht sollte ich eine Glosse schreiben. Überschrift ‚Die Arbeitsagentur als größter Bremsklotz der Nation’.“ Sie: „Machen sie das. Den Titel finde ich gut. Einer muss anfangen, sonst ändert sich nie was.“
Ich lege auf. Nett geschwätzt und wieder nichts erreicht. Nichts, nichts, nichts. Hätte ich all das meinem Herzchen von Friseur erzählt, wäre mir neben unendlicher Empathie auch noch ein Haarschnitt sicher gewesen. Leistung für’s Geld also. Ich will in meinen Bastelkeller und muss aufpassen, dass die Bauanleitung für Mollies nicht im umfassenden Infopaket zum Kundenmanagement landet. Ein solches der Agentur zu schicken, fühle ich mich inzwischen verpflichtet. Schließlich müllen die mich ja auch mit sinnlosen Formularen zu.
Eine Woche später habe ich noch immer keinen Termin beim Arbeitsberater. Und ich erwarte auch keinen mehr.
Ich beschließe friedliche Maßnahmen und plane ein Sit-in. Der beste Tag dafür scheint der Freitag zu sein – denn Freitag ab eins macht jeder seins (im öffentlichen Dienst sowieso) und so kann ich das erholsame Wochenende der Mitarbeiter nach einer Woche nur von Kunden gestörten Büroschlafs am effizientesten gefährden.
- Fortsetzung folgt –
Nachdem ich vorerst mündlich und dann tatsächlich schriftlich erhaltene Informationen mit identischem Ergebnis gegen recherchiert habe, kündige ich mein Arbeitsverhältnis.
Pflichtgemäß melde ich mich umgehend und fristgerecht über die Hotline mittels meiner Kundennummer arbeitslos und erwähne gleich, dass ich bereits bei der Agentur xxx, Team yyy vorgesprochen und dort über meine konkreten Pläne, mich selbständig zu machen, informiert hätte.
Der Call-Center-Agent: „Dann haben sie ja alle Unterlagen, um sich arbeitslos zu melden.“ Ich: „Nein, die habe ich nicht.“ Er: „Wieso, die hätte man ihnen doch mitgeben müssen?“ Ich: „Nein, hat man nicht. Ich habe nur die Unterlagen zur Beantragung des Gründungszuschusses.“ Er: „Ich glaube es nicht! Ich lasse ihnen die Unterlagen zuschicken.“
Ich bin frustriert.
Am gleichen Abend fällt mir aus dem Briefkasten ein fetter Umschlag mit Unterlagen der Arbeitsagentur entgegen. Super. Der Antrag. Aber: das kann gar nicht sein, ich habe doch am Vormittag erst telefoniert. Und ‚Arbeitspaket Teil 3 – Vorbereitung Vermittlungsgespräch’? Hallo Amt, ich habe mich bereits an mich selbst vermittelt! Und ihr wisst das! Im Anschreiben werde ich gebeten am ersten Tag des übernächsten Monats am Infostand vorzusprechen – mit den ausgefüllten Unterlagen. Zu spät! An dem Tag wären alle mich verpflichtenden Fristen fast verstrichen und bei der bisher bewiesenen Trantutigkeit der Anstalt will ich nichts riskieren.
Ich koche. Die kochen Kaffee. Irgendwie muss der Tag ja verstreichen. Die Kommunikation in der Agentur scheint nur zu funktionieren, wenn die Kaffeemaschine die Hufe hochreißt – also ernsthafte Einschnitte in den Büroalltag drohen.
Wenige Tage später. Der Antrag auf Gründungszuschuss ist ausgefüllt, der Businessplan geschrieben und vom Steuerberater abgesegnet. Ich beabsichtige, ihn zusammen mit der ich-bin-arbeitslos-für-zwei-Tage-Meldung (ein Tag mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Frist vor der Selbständigkeit – Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste…) abzugeben – ist ein Abwasch und spart Zeit. Schließlich habe ich noch andere Dinge zu tun. Akquise zum Beispiel.
Es muss also ein Termin mit dem Arbeitsberater her, denn der nimmt den Antrag entgegen und muss die Unterlagen prüfen, so die Auskunft beim Beratungsgespräch.
Ein erneuter Versuch die Agentur anzurufen. Nachdem ich mich durchs Menü gedrückt habe, fliege ich wegen Überlastung aus der Leitung. Wenigstens sagt die Computerstimme das vorher an. Zwei Stunden lang probiere ich es wieder und wieder. Nichts zu machen. Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Ich könnte Knochen kotzen. Behandelt man so KUNDEN? Aber der Kunde ist ja nur König – die Arbeitsagentur mindestens Kaiser, wenn nicht Gott!
Viele Wege führen nach Rom. Plan B also. Ich greife zum Handtelefon. Hier ist das Prozedere anders. Der Anrufer muss seine Postleitzahl eintippen und wird danach in ein lokales Call-Center durchgestellt. Geht doch, denke ich. Die nette Frau an der Hotline teilt mir mit, dass bei dem für mich zuständigen Arbeitsberater (der Name bleibt Agenturgeheimnis) erst im übernächsten Monat Termine frei sind.
Ich: „Dann kann ich die gesetzlichen Fristen nicht einhalten. Das geht nicht. Ich habe ein Recht auf einen früheren Termin.“ Sie: „Das haben sie, ja. Sie bekommen innerhalb von 48 Stunden einen Rückruf. Ich kann gerade nichts für sie tun.“
Hatten wir das nicht schon? Sofort brauche ich einen Blasenkatheter und einen Anuspreter – mit dem Handtelefon zur Toilette zu gehen wird nämlich nie ein Reflex.
- Fortsetzung folgt -