Rauschen
Noch bis zum 4. August bietet sich Mitte-Flaneuren in der Auguststraße 16 jeden Abend ein beeindruckendes Bild. Pünktlich um 22.30 Uhr schaltet Ingrid Berger ihre Videoinstallation „Rauschen“ an. Alle Fenster des Gebäudes werden von einem pixeligen Flimmern erfaßt.
Dieses Haus mit seiner Klinkerfassade war nie ein Wohnhaus. Als Siechenhaus der jüdischen Gemeinde 1876 eingeweiht, wurden seine Räumlichkeiten bald vom nebenstehenden jüdischen Krankenhaus genutzt. Nach dessen Umzug in den Wedding fanden Institutionen der Wohlfahrt hier ihren Platz. Während des Naziregimes diente der Gebäudekomplex als Ausgangsstation für die Deportation. Ab 1947 hatte hier eine Schule ihr Domizil. Seit 1993 steht das Haus leer.
Der Leerstand erst machte das Projekt der Bühnenbildnerin Ingrid Berger (*1972) möglich. Mit einsetzender Dämmerung verblassen Fassaden und Konturen von Gebäuden. Ihr Inneres wird jetzt durch die Bewohner nach außen getragen. Lampen, Monitore, Fernseher oder Kerzen erzeugen unterschiedliche Lichtstufen, lassen Passanten ausschnittweise am Leben Unbekannter teilhaben.
Ingrid Berger hinterlegte im ersten Teil ihrer Installation alle Fenster mit einem gleichmäßigen, dem weißen Rauschen des Fernsehens ähnlichen, Effekt. Sie schaltet Wahrnehmungen gleich. Nichts erinnert mehr an sich hinter den Fenstern befindliche Individualität. Verschwunden ist die Transparenz des Glases, die Fassade verliert ihren Wirklichkeitsbezug, erscheint als Kulisse. Die immateriellen Lichtpunkte zwingen zur Imagination.
Im derzeit zu sehenden zweiten Teil von „Rauschen“ unterbrechen Störungsmuster die monotone Pixelbewegung, ähnlich dem Effekt beim Drücken des TV-Kanal-Suchlaufes an der Fernbedienung. Dynamische Bewegungen entstehen, das Auge sucht unweigerlich nach Bildern. Die Bewegung zwingt zur Wahrnehmung verstreichender Zeit.
Frappierend und wohlbekannt stellt sich so der Effekt ein, daß nicht wir uns bewegen, sondern das Medium eine Reaktionsgeschwindigkeit vorgibt.