Wölfe im Schafspelz
Beim Betreten der Galerie der Deutschen Guggenheim öffnet sich eine magische Welt. Sogartig durchzieht eine imaginäre Bewegung den Raum, es zischt und knallt - und doch ist alles real.
(Ver)zauberer des Kunstraumes ist der chinesische Künstler Cai Guo-Qiang (*1957). „Head on“ benennt der gelernte Bühnenbildner seinen dreiteiligen Werkkomplex, den er speziell für diese, seine erste große Einzelausstellung in Deutschland geschaffen hat.
Cai, seit 1995 in New York lebend, ist ein Wanderer zwischen den Welten und ein durchdringender Beobachter ihrer Geschichte und Kultur. In seinen Arbeiten verschmelzen Gegenwart und Vergangenheit zu einem Konglomerat verwirrender Eindrücke.
Erst bei genauerem Hinsehen gibt die 4 x 9 Meter große Zeichnung „Vortex“ ihr Geheimnis Preis. Cai bedeckte die Japanpapierfläche mit Schablonen und bestreute sie mit 15 verschiedenen Sorten Schießpulver. Mittels Zündspur entflammt, verschwand das Bild im Innenhof der Deutschen Bank unter einer Rauchwolke, um danach seine, durch Schmauch- und Brandspuren, von Planung und Zufall beeinflußte Komposition sichtbar werden zu lassen.
An der gegenüberliegenden Wand läuft das Video „Illusion II“. Trügerisch ist der erste Eindruck des vermeintlichen Feuerwerks. Elegisch steigen Lichtfunken in die Nacht.
Cai ließ für diese Installation von den Babelsberger Filmstudios ein typisch deutsches Haus auf dem Freigelände hinter der Ruine des Anhalter Bahnhofs nachbauen und füllte es mit Pyrotechnik. 15 Kameras hielten das Abfackeln bildlich fest. Die anfängliche Begeisterung für die farbenfrohe Illumination weicht beim Betrachter schnell einem bedrückenden Gefühl für die zerstörerische Kraft des Feuers. Das Haus brennt nieder. Assoziationen zum zweiten Weltkrieg, zu gegenwärtigen Konfliktherden steigen auf. Verflogen ist die unbedarfte Erlebbarkeit bunten Feuerwerks, machtvoll greift die Kraft der Zerstörung nach dem Betrachter.
Wenige Schritte weiter sind furchterregend die Wölfe los. 99 Isegrims rasen zähnefletschend aufwärts, strömen einem Ziel zu. Des Rudels Spitze zerschellt an einer Glaswand. Schmerzverkrümmt winden sich die Leittiere am Boden. Die Berliner Mauer, Sinnbild einstigen Widerstands, erscheint vor dem Auge des Betrachters. Joseph Beuys’ Aktion „I like America and America likes me“, in der er sich, umhüllt von einem Schaffell und eingesperrt in einen Käfig, über Stunden einem Kojoten aussetzte, scheint hier gegenwärtig. „Deeskalation – hin zur Harmonie“ ist das für Cia. Nicht umsonst ließ er seine Wölfe in China fertigen. Schaffelle umhüllen Korpusse aus Metalldrähten und Stroh, denen Kunststoff täuschend echte Gesichter gibt.
Vertrautes im Neuen entdeckend wird der so virtuos auf der Klaviatur von Schamanentum und Mythen spielende Cia 2008 mit seinen materialisierten Ideen die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Peking gestalten.
Wo sind denn die Schafe?
Jetzt im Text.